– 3 –

Da sind wir uns sicher.

Vorsitzende Claudia Altwasser und Geschäftsführer Marco Fusaro sind sich sicher, dass Weiterbildung gerade auch in einer Bildungsgesellschaft notwendig ist. Zum Beispiel leiden immer mehr Menschen an den gesundheitlichen Folgen unserer Wohlstandsgesellschaft. Fehlende Alphabetisierung grenzt mehr als 14 Prozent der deutschsprachigen erwachsenen Bevölkerung von echter Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aus. Man muss sich nicht wundern, wenn die Gesellschaftsteile auseinanderdriften, wenn in der Folge populistische Parteien Zulauf gewinnen und Feindlichkeit gegenüber Fremden und Minderheiten zunimmt. Weiterbildung ermöglicht Partizipation für jede Bürgerin und jeden Bürger. Weiterbildung sorgt für zweite und dritte Chancen für jeden, für Bildungsgerechtigkeit und sozialen Frieden.

Im Gespräch Claudia Altwasser (im sechsten Jahr Vorsitzende des Bildungswerk des LSB Rheinland-Pfalz) und Marco Fusaro (seit zwanzig Jahren Bildungswerker und im sechsten Jahr Geschäftsführer).

Das Bildungswerk des LSB Rheinland-Pfalz ist eine nach rheinland-pfälzischem Weiterbildungsgesetz anerkannte Landesorganisation der Weiterbildung. Was bedeutet das?

Claudia Altwasser: Das bedeutet zuerst einmal, dass wir zu dem sehr kleinen Kreis von insgesamt sieben Organisationen gehören, deren Weiterbildungsarbeit staatlich gefördert wird. Und das ununterbrochen seit fast vierzig Jahren. Das Bildungswerk ermöglicht damit die Verwirklichung des individuellen Rechts auf Bildung einer jeden Bürgerin und Bürgers des Landes Rheinland-Pfalz.

Marco Fusaro: Formal erfüllen wir verschiedene Kriterien. Wir sorgen für ein flächendeckendes Programm. Unsere Veranstaltungen sind für jede Person zugänglich. Wir halten eine organisatorische Infrastruktur vor und sichern die Qualität der Bildungsprozesse. Und wir haben als gemeinnützige Organisation keine Gewinnerzielungsabsicht.

Claudia Altwasser: Unsere Bildungsangebote tragen zur Chancengerechtigkeit, insbesondere zur Gleichstellung von Frau und Mann und von behinderten und nicht behinderten Menschen, bei. Unser Auftrag ist es Bildungsdefizite abzubauen, zur Vertiefung, Ergänzung und Erweiterung vorhandener oder dem Erwerb neuer Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen beizutragen und damit ein eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Handeln im privaten und öffentlichen Leben sowie Mitwirkung und Mitverantwortung im beruflichen und öffentlichen Leben zu ermöglichen.

Und zum Beispiel konkret?

Marco Fusaro: Nehmen wir zum Beispiel eine Übungsleiterin. Super qualifiziert, zumeist mit vielen Jahren praktischer Erfahrung ausgestattet und dennoch haftet ihr die Einschränkung einer reinen Vereinstätigkeit an. Da setzen wir mit unserer Weiterbildung zur Gesundheitsmanagerin an. Zu den bereits vorhandenen Kompetenzen im Bereich Bewegung vermitteln wir auch noch die Themen Projektorganisation und insbesondere Verhandlungssicherheit. Mit den neu gewonnenen Kompetenzen und dem erworbenen Zertifikat wird die Gesundheitsmanagerin zukünftig auch von Personalern in Wirtschaft und Verwaltung ernst genommen und kann sich so ein neues berufliches Standbein aufbauen.

Ihr vertretet die größte Weiterbildungsorganisation der freien Träger mit staatlicher Anerkennung. Welche Anforderungen werden dadurch an das Bildungswerk gestellt?

Claudia Altwasser: Im Prinzip bedeutet es, dass man von uns erwartet, immer auch bei allen Themen mit dabei zu sein, unser Know-how, eigene Mittel und auch das große Netzwerk des rheinland-pfälzischen Sports einzubringen.

Marco Fusaro: Wir sind die größte Organisation gemessen an den anerkannten Weiterbildungsstunden – deutlich nach dem Verband der Volkshochschulen. Diese sind jedoch in kommunaler Trägerschaft und werden auch vom Weiterbildungsgesetz extra betrachtet. Wir haben auch die meisten Mitglieder und damit das größte Netzwerk, aber andere anerkannte Landesorganisationen haben mehr Teilnehmende oder führen noch mehr Veranstaltungen durch. So gibt es je nach Betrachtung ein paar große Organisationen.

Was wird denn in Rheinland-Pfalz als Weiterbildung bezeichnet?

Claudia Altwasser: Wenn wir von Weiterbildung sprechen, meinen wir Weiterbildung im Sinne des §1 im rheinland-pfälzischen Weiterbildungsgesetz. Weiterbildung ist ein eigenständiger mit Schule, Hochschule und Berufsausbildung gleichberechtigter und verbundener Teil des Bildungswesens in öffentlicher Verantwortung. Sie dient dem ganzen Menschen, seinen persönlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Bedürfnissen. Weiterbildung im Sinne des Gesetzes umfasst organisiertes Lernen in den gleichrangigen und gleichwertigen Bereichen der allgemeinen, politischen und beruflichen Weiterbildung.

Marco Fusaro: Inhaltlich absolut korrekt. Vielleicht sollte ich noch ergänzen, dass Weiterbildung in organisierten Prozessen und in Gruppen stattfinden muss.

Das Bildungswerk hat ja traditionell seine Wurzeln in der Gesundheitsbildung. Wie sieht es da aktuell aus?

Marco Fusaro: Zunehmend dramatisch. Obwohl unsere Lebenserwartung zunimmt, ist festzustellen, dass dies wohl nur einem sehr hohen Einsatz der Medizin geschuldet ist. Die Menschen werden zwar älter, sind jedoch nicht gesünder und mit Lebensqualität hat es oft auch wenig zu tun. Schon jetzt belaufen sich die Kosten auf rund 315 Milliarden Euro – jährlich. Und es wird tendenziell immer weniger erwerbstätige Beitragszahler geben.

Claudia Altwasser: Aktuell gibt es bereits mehr übergewichtige Menschen auf der Welt als Menschen mit Unterernährung. Zu den häufigsten Defiziten unserer Gesellschaft zählt unter anderem der zunehmende Bewegungsmangel. Sitzen gilt heute schon als das neue Rauchen. Und auch chronische Erkrankungen nehmen bereits bei Kindern immer mehr zu.

Wie sehen denn da die Lösungsansätze der Weiterbildung aus?

Claudia Altwasser: Das Ziel ist die Stärkung der Befähigung der Bevölkerung zu gesundheitsbewusstem Verhalten in allen Lebensphasen und die Reduzierung gesundheitlicher Risiken. Menschen zu sensibilisieren und zu befähigen ihr Verhalten und die Verhältnisse zu verändern, ist ein originäres Bildungsziel.

Marco Fusaro: Prävention und Rehabilitation in allen Altersgruppen spielen eine maßgebliche Rolle. Wir haben durch die Sportvereine viele Angebote im Bewegungs- und Gesundheitsbereich mit im Programm. Den Begründern des Weiterbildungsgesetzes war das Thema Gesundheit übrigens so wichtig, dass eigens ein Sachgebiet schwerpunktmäßig dafür eingerichtet wurde.

Woran scheitert es denn aktuell noch?

Marco Fusaro: Man muss es hart sagen, an der Bequemlichkeit der Menschheit. Gäbe es die wirksame „Rank-und-schlank-Pille“, jeder würde sie nehmen. Bewegung und vielseitige, maßvolle Ernährung ist für zu viele mit unangenehmer Anstrengung verbunden.

Claudia Altwasser: Und man muss feststellen, dass Gesundheit auch etwas mit Bildung zu tun hat. Meiner Meinung nach gehören zur Grundbildung eben nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen, sondern auch Bewegung und Ernährung. Obwohl wir Deutschland gerne als Bildungsnation bezeichnen, müssen wir feststellen, dass die Zahl derer, die man als bildungsfern bezeichnen würde, stark zunimmt.

Marco Fusaro: Man muss sich mal vorstellen, dass nach der LEO-Studie mehr als 14 Prozent der deutschsprachigen, erwachsenen Bevölkerung nicht ausreichend alphabetisiert sind, also von funktionalem Analphabetismus betroffen sind. Dadurch wird man von echter Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt. Man muss sich nicht wundern, wenn die Gesellschaftsteile auseinanderdriften, wenn in der Folge populistische Parteien Zulauf gewinnen und Feindlichkeit gegenüber Fremden und Minderheiten zunimmt.

Claudia Altwasser: Viele Symptome, die alle zusammen eines deutlich machen: Weiterbildung war und ist auch heute wichtig. Und sie wird in Zukunft, in einer alternden Gesellschaft, noch viel wichtiger sein.

Kann man das als Organisation alles alleine bewegen oder muss sich auch die Politik bewegen?

Marco Fusaro: Aktuell stemmen wir alle Themen über die Regelförderung des Landes, über die Trägerförderung des Landessportbundes und durch selbst erzielte Einnahmen aus eigenen Weiterbildungsveranstaltungen. Da sind wir seit Jahren an der Grenze, eigentlich schon darüber hinaus. Das geht nicht unbegrenzt so weiter.

Claudia Altwasser: Zum Beispiel braucht es zusätzliche Mittel für Bildungsmaßnahmen im Bereich der politischen und gesellschaftlichen Bildung, für Grundbildung und Alphabetisierung. Aber auch die Bereitstellung zusätzlicher Mittel, um eine in sich schlüssige und aufeinander aufbauende Bildungskette für Geflüchtete vorhalten zu können, ist notwendig.

Marco Fusaro: Bildungsberatung müsste ebenfalls endlich als Teil der Weiterbildungsleistung anerkannt und in die Finanzierung von Weiterbildung mit einbezogen werden. Eine zusätzlich geförderte Stelle, um ESF-Maßnahmen in nennenswertem Umfang durchführen zu können, würde sich sogar doppelt lohnen. Und immer wieder sind Modellprojekte Garant für innovatives Arbeiten und erfolgreiche Entwicklungen neben der Regelarbeit.

Im Editorial des Qualifizierungsprogramms MOMENTUM 2016 habt ihr geschrieben „Willkommen in der Zukunft“. Was bedeutet das für euch?

Marco Fusaro: Das hat für jeden sicher seine ganz eigene Bedeutung. Ich möchte hier stellvertretend neue e-Learning-Konzepte nennen, den Umgang mit Open Educational Ressources und Social Media in unseren Weiterbildungsangeboten, um damit auch dem veränderten Lernverhalten vieler Menschen gerecht werden zu können.

Claudia Altwasser: Für mich bedeutet es, dass wir die Barrieren zwischen Lernenden und Lehrenden abbauen. Wir wollen, vom Vorstand über die Mitarbeitenden bis hin zu unseren Lehrreferenten und den Teilnehmenden auf Augenhöhe arbeiten. Das haben wir auch als Ziel in unserem Leitbild verankert. Und natürlich wollen wir unsere Teilnehmenden in der Zukunft begrüßen, denn es wird von uns erwartet, bereits dort zu sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

Claudia Altwasser

Jahrgang 1961.

 

 

 

 

 

 

Marco Fusaro
Jahrgang 1966

Von 1987 bis 1997 Studium an der Universität Trier, während der Studienzeit Entwicklung von datenbankbasierten Informationssystemen für das Management mittelständischer Unternehmen
Seit 1987 in verschiedenen Bereichen der Weiterbildung tätig Seit 1997 hauptamtlicher Mitarbeiter beim Bildungswerk des LSB Rheinland-Pfalz, entwickelte das WebBasedTraining beim Bildungswerk als Mischform aus intranetbasierten Lernphasen und Präsenzphasen
Seit Oktober 2010 Geschäftsführer beim Bildungswerk des LSB