Herausforderungen und Möglichkeiten einer Veränderung
Und das ist die gute Nachricht! Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass bestimme Reaktionen und Emotionen in einer Krise ganz normal sind und jeder – auch wenn unterschiedlich lange – bestimmte Phasen durchlebt.
Im Interview verrät dir unsere Expertin Tanja Rothkegel, wie sie die Krise (am Beispiel Corona) gemeistert hat, welche Erkenntnisse und auch Möglichkeiten sie daraus gewonnen hat, wie der typische Verlauf ist und was die einzelnen Phasen bei jedem von uns auslösen. Denn letztendlich geht jeder Mensch mit schwierigen oder stressigen Bedingungen anders um: Während die einen schon ein kleines Problem als persönlichen Weltuntergang begreifen, sehen andere noch so schlimm erscheinende Probleme als Herausforderung und Möglichkeit für das persönliche Wachstum. Und hier lohnt es sich doch, sich die grundlegenden Unterschiede in den Denkweisen mal näher anzuschauen…
Bildungswerk:
Liebe Tanja, auch dir sind von heute auf morgen deine Kurse, Seminare und Coachings weggebrochen. Was hat die Krise in den ersten Tagen bei dir ausgelöst? Warst du direkt optimistisch oder gab es auch bei dir kritische Momente?
Tanja:
Ich persönlich bin ja ein Fan von Veränderungen – allerdings habe ich gerne aktiv Einfluss auf diese Veränderungen. Und irgendwie habe ich auch Routine ein bisschen gern. Also nein: in dem Moment, als der Lockdown offiziell war, als alles auf Null stand, ist bei mir erst einmal eine Welt zusammengebrochen. Und diese Emotionen waren schon ziemlich heftig. Doch ich habe diese Emotionen auch ganz bewusst zugelassen. Denn ich weiß, dass sich jede Emotion, die keinen Ausdruck erfährt, im Körper und im emotionalen Gedächtnis festsetzt. Und so eine einschneidende Erfahrung, nämlich die pure Existenzangst, möchte ich nicht als Trauma dauerhaft in meinem Körper tragen.
Bildungswerk:
Welche neuen Möglichkeiten und Chancen haben sich für dich aus dieser Situation ergeben?
Tanja:
Ich habe meine Aversion gegen Online-Veranstaltungen über Bord werfen und den Charme solcher Veranstaltungen schätzen lernen dürfen. Und ich habe über mich selbst gelernt, dass ich ziemlich schnell in der Verarbeitung von Krisen sein kann. Ganz zu Beginn des Lockdowns habe ich zum Beispiel ein virtuelles Mutmach-Camp ins Leben gerufen. Doch es gab so gut wie keine Resonanz darauf, einfach weil die meisten um mich herum noch nicht so weit waren – auch das habe ich rückblickend feststellen können. Ich hatte aber das Glück auf Menschen zu treffen, die ähnlich ticken wie ich. Menschen, die ebenfalls sagen, dass die Corona-Krise auch ihr Gutes hat, da sie in vielen Bereichen einen echten Transformationsturbo angestoßen hat. Und genau auf diese neuen Möglichkeiten bin ich dann aufgesprungen. Ich sehe mir ganz genau die Entwicklungen an, mit denen Menschen und Unternehmen derzeit konfrontiert sind. So vieles verändert sich gerade: Angefangen bei Homeoffice, über die Veränderung von zukünftigen Arbeitswelten, bis hin zu den Herausforderungen an Führungskräfte, HR-Abteilungen und ganzen Organisationen. Genau in diese Richtung entwickle auch ich mich mit meinem Portfolio: ich schaue, was die Herausforderungen meiner Zielgruppe sind und biete ihnen entsprechende Unterstützung.
Bildungswerk:
Man erlebt aktuell ganz unterschiedliche Einstellungen und Haltungen der Menschen und jeder scheint etwas anders mit Krisensituationen umzugehen. Gibt es dennoch einen klassischen Verlauf, an dem man sich orientieren kann?
Tanja:
Im Changemanagement gibt es einen klassischen Prozess, den jedes Individuum und auch jede Organisation durchläuft. Dieser Prozess ist an den Trauerprozess angelehnt. Und wenn ich rückblickend auf diese Zeit schaue, habe auch ich diesen Veränderungsprozess durchlaufen.
Bildungswerk:
Wie sehen die einzelnen Phasen aus?
Tanja:
Es gibt sieben bzw. acht Phasen im klassischen Change-Prozess. Im organisationalen Kontext ist immer eine Planungsphase vorgelagert, dann werden die nachfolgenden Prozessschritte durchlaufen, die ich der Einfachheit halber mit meiner Corona-Erfahrung in Abgleich bringe.
1. Der Schock:
Die ersten Bilder aus Wuhan waren surrealistisch. Eine Stadt, die abgeschirmt war, keine Menschen auf der Straße, komplett abgeriegelt. Dann hat „plötzlich“ Corona Europa erreicht. Die Inzidenzen gingen nach oben, die Politiker haben diskutiert, der Lockdown mit all seinen Begleiterscheinungen war absehbar.
2. Die Leugnung:
Ich befand mich zu dem Zeitpunkt in einer zweiwöchigen Ausbildung und die letzte Woche stand bevor. Wir hatten die Info, dass alles wie geplant weiterläuft. Sonntagnachmittag, die ersten Teilnehmer saßen bereits im Zug, kam die Info, dass alles abgesagt ist. Die Uni Frankfurt schließt ihre Pforten, verschoben auf unbekannt.
3. Die Wut:
Diese Phase war lustiger Weise bei mir gefühlt eine Stunde lang, denn ich bin sehr lösungsorientiert und immer auf der Suche nach möglichen Alternativen.
4. Die Verhandlung:
Das war mein aktiver Part, als ich einfach irgendwie alternative Veranstaltungsorte finden wollte. Das ist der Punkt, an dem man klassischerweise alles daransetzt, dass es endlich wieder so wird, wie vorher. Halt einfach wieder normal… Doch das ging nicht und so ging es ohne Umweg ins Tal der Tränen.
5. Die Depression:
Das war die Phase, in der ich meinen Emotionen freien Lauf gelassen habe. Ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Ich bin nicht allein und habe immer auch finanzielle Unterstützung. Doch ich habe auch mittel- und langfristige Probleme gesehen, die sich aus der gesamten Situation ergeben können. Und das hat mir wirklich Angst gemacht.
6. Offenheit für Neues:
„If you don’t like where you are, move! You are not a tree.” Unter diesem Aspekt habe ich mich nach 2-3 Tagen gerappelt und einfach mal gemacht. Obwohl ich ein kleiner Perfektionist bin – und Perfektionismus verläuft gefühlt diametral zu Krisenbewältigung und -verarbeitung – habe ich innerhalb von ein paar Tagen online Fitnesskurse angeboten. Ich habe eine Facebook-Gruppe aufgesetzt, hab mich mit Lizenzrechten auseinandergesetzt, habe die vermaledeite Online-Geschichte getestet und akzeptiert. Mittwoch waren die Fitnessstudios dicht, Sonntag bin ich mit meinem ersten Kurs online gegangen. Im Test hat alles wunderbar geklappt: Verbindung war super, es gab eine kostenfreie Zoom-Variante mit unbegrenztem Zeitlimit. In der Live-Stunde dann das Desaster: nach 40 Minuten hat Zoom die Verbindung unterbrochen und 30 Teilnehmer waren plötzlich weg. Vermutlich hat noch niemand so schnell ein kostenpflichtiges Zoom-Abo abgeschlossen wie ich, aber drei Minuten später waren wieder alle an Bord.
7. Wachstum & Stärkung: Ich habe innerhalb kürzester Zeit meine Aversion gegen Online-Veranstaltungen über Bord geworfen, einfach weil es keine Alternative gab. Und dann bin ich auf die Suche nach weiteren Möglichkeiten gegangen, wie ich die Zeit sinnvoll nutzen kann. Und ich habe andere Menschen gefunden, die diese Krise ebenfalls zur Weiterentwicklung, zum persönlichen Wachstum genutzt haben. Ich habe eine Ausbildung gemacht, die ich seit Jahren schon machen wollte, aber die zeitlich eine echte Herausforderung war. Durch Corona war das plötzlich online möglich, da wir alle gemeinsam hierdurch von- und miteinander gelernt haben und gewachsen sind.
Bildungswerk:
Welchen Vorteil hat es, resilient zu sein und wie kann ich das üben?
Tanja:
Oftmals – und fälschlicherweise – wird Resilienz als Widerstandskraft bezeichnet. Widerstandskraft wird hier oft gleichgesetzt mit Stressresistenz. Doch der Resilienzbegriff geht weiter und stammt – ähnlich wie der Stressbegriff – eigentlich aus der Physik. Er bezeichnet die Fähigkeit eines Stoffes, sich verformen zu lassen und dennoch in die ursprüngliche Form zurückzufinden. Ganz allgemein ausgedrückt handelt es sich also um die Toleranz eines Systems gegenüber Störungen. Anders ausgedrückt: Stressresistenz bedeutet eine gewisse Immunität. Resilienz geht weiter und ist die Veränderungs- und Krisenkompetenz eines Individuums oder sogar einer Organisation.
Dieser Ansatz erleichtert auch die Akzeptanz von Krisen: es ist ok, dass es mich emotional trifft und womöglich zu Boden wirft. Doch resiliente Menschen haben Bewältigungsstrategien, mit denen sie immer wieder auf die Füße kommen und sich weiterentwickeln. Üben und somit die eigene Resilienz stärken kann man, indem man sich die eigenen Bewältigungsstrategien bewusst macht.
Resiliente Menschen akzeptieren Veränderungen als Teil des Lebens.
Und deshalb hilft es, sich einmal zu veranschaulichen, welche Veränderungen man in seinem Leben schon durchlaufen hat. Und auch ehrlich zu hinterfragen, was gut funktioniert hat und was nicht – und warum. Daraus ergeben sich Lern- und Entwicklungsfelder, die man ganz gezielt bearbeiten kann und so als Ressource für zukünftige Veränderungen zur Verfügung stehen hat.
Bildungswerk:
Hast du praktische Tipps?
Tanja:
Hunderte (lacht)! Als einfachste Variante, um sich der eigenen Ressourcen bewusst zu werden, kann man sich folgende Fragen entlang der Kompetenzfelder der 360° Resilienz Facilitation nach dem Bambus-Prinzip® stellen:
1. Optimismus: Acht Dinge, die du besonders gut kannst.
2. Akzeptanz: Acht Dinge, die dich einzigartig machen.
3. Lösungsorientierung: Acht Dinge, die dich begeistern.
4. Selbstregulation: Acht Dinge, die dir Ruhe geben.
5. Selbstverantwortung: Acht Dinge, die du gerne (selber) machst.
6. Beziehungen: Acht Menschen oder Situationen, die dir Kraft geben.
7. Zukunftsgestaltung: Acht Dinge, die dir Mut machen.
8. Improvisationsvermögen: Acht Dinge, die du sofort ändern kannst.
Dabei wirst du feststellen, dass es Bereiche gibt, in denen dir auf Anhieb etliche Antworten einfallen. Bei anderen tust du dich eher schwer. Das liefert direkt Ansatzpunkte, welche Kompetenzen bereits gut ausgeprägt sind und wo sich noch Lern- und Entwicklungsfelder verstecken. Besonders spannend wird es dann, wenn ich Stärken (also Ressourcen) aus einem Bereich als Unterstützung für einen anderen Bereich heranziehe. Das klingt jetzt ein wenig kompliziert, ist aber mit ein bisschen Übung der Schlüssel zu einem echten Schatz.
Bildungswerk:
Was rätst du den Menschen und was möchtest du ihnen noch mit auf den Weg geben?
Tanja:
Unsere heutige Welt unterliegt so vielen schnellen und unberechenbaren Veränderungen, dass es wirklich, wirklich anstrengend sein kann. Aber trotzdem können wir den Wandel nicht aufhalten und müssen damit klarkommen. Am einfachsten ist das, wenn wir unseren Widerstand aufgeben. Das soll nicht heißen, dass wir Opfer der Veränderung sein sollen! Aber Widerstand verbraucht sehr viel Energie. Vielleicht sollten wir diese Energie lieber in konstruktive Bahnen lenken. Schlaue Menschen haben dazu bereits weise Worte gefunden:
„Wenn Du die Dinge nicht ändern kannst, ändere deine Sicht auf die Dinge. Dann verändert sich alles.“
Vielen Dank, liebe Tanja!
Und wenn du jetzt neugierig geworden bist und mehr über Resilienz und Veränderungsfähigkeit erfahren möchtest, hast du mit unserer kostenfreie Online-Vortragsreihe die Möglichkeit dazu. Dich erwarten acht unterschiedliche Kompetenzfelder aus dem Resilienzzirkeltraining mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die über das Jahr verteilt stattfinden. Klick dich rein und sei dabei!
Alles wird gut: Ein optimistischer Blick aufs Leben am 13.02.2025
Es ist, wie es ist! am 20.03.2025
Chancen erkennen: Vom Problem- zum Möglichkeitendenker am 10.04.2025
Happiness is an inside job am 22.05.2025
Das Steuer in die Hand nehmen am 03.07.2025
Weggefährt*innen zum Glück am 21.08.2025
Meinem inneren Kompass folgen am 18.09.2025
Improvisation ist alles am 20.11.2025